Vom Baranoff-Apparat zum Artillerie-Simulator 77
Baranoff-Apparat
Der Konstrukteur dieses Apparates war ein 1918 nach Frankreich übersiedelter zaristischer Artillerieoffizier, Lieutenant Valentin André Baranoff. Er leistete vor und während des Zweiten Weltkrieges als russischer Staatsbürger Dienst in der französischen Armee. Er starb am 30. Dezember 1974 im Alter von 81 Jahren in Paris. Von Beruf bezeichnete er sich als Ingenieur-Inventeur. Er verwertete seine Patente in der Société Générale d’Optique in Paris.
In den persönlichen Aufzeichnungen von André Baranoff ist die erste Erwähnung seines Ausbildungsgerätes auf den 15. November 1919 datiert. Kurz darauf erfolgte auch die Anmeldung seines ersten Patentes „Dispositif pour tir réduites“ beim „Office national de la propriété industrielle“. Es wurde am 8. Juli 1921 erteilt und unter der Nummer 526.834 am 14. Oktober 1921 veröffentlicht.
Im Text der späteren schweizerischen Patentschrift wird das Prinzip der Erfindung etwas vereinfacht wie folgt dargestellt: „La présente invention se rapporte à une installation pour tir réduits permettant à un instructeur d’expliquer les règles particulières du tir de l’artillerie. Cette installation est caractérisée par un plan dit „d’observation“ figurant en relief la contrée que l’on doit battre d’obus et par un plan dit „de manoeuvre“ qui est constitué par une carte de la même contrée, à la même échelle que le relief sous-indiqué, et sur lequel peut se mouvoir une pièce fictive.“
Die Erfindung von André Baranoff stiess in Frankreich und international auf grosses Interesse, was die zahlreichen Artikel in der in Frankreich führenden „Revue d’Artillerie“ in den Jahren 1922 und 1923 und in vielen Zeitschriften anderer Länder beweisen.
Gestützt auf veröffentlichte Patentschriften und eine reihe von Zeitschriftenartikeln in ausländischen militärischen Publikationen liess sich eine schweizerische Delegation am 14. Juni 1923 in Paris den „appareil Baranoff“ vorführen. Im Bericht vom 17. Juni an die Abteilung für Artillerie wird gesagt „… sind wir übereinstimmend zur Ansicht gekommen, dass die Anschaffung sehr nützlich wäre“. Und weiter „Wenn ein Artillerist an diesem Apparat schiessen kann, so sollte ihm das wirkliche Schiessen keine unverständlichen oder schwer zu begreifenden Überraschungen mehr bringen, was Munition-Ersparnis bedeutet.“
Am 10. Juli 1923 stellte der Waffenchef der Artillerie, Oberstdivisionär Bridel, den Antrag, die Kriegstechnische Abteilung (K.T.A.) mit der Erarbeitung eines Vertrages für die Lieferung eines „appareil de tir fictif Baranoff“ zu beauftragen. Bereits anfangs Oktober lag eine Offerte über den Betrag von Fr. 28’600.– vor. Dem Beschaffungsantrag des Militärdepartementes an den Bundesrat vom 24. Oktober 1923 folgte umgehend der Bundesratsbeschluss am 30. Oktober. Damit war der Weg frei für die Beschaffung des ersten Baranoff-Apparates. Die Aufstellung des sehr rasch gelieferten Gerätes erfolgte im Laufe des Jahres 1924 in der Mannschaftskaserne Thun.
Die positiven Ergebnisse der Ausbildung mit dem Baranoff-Apparat bewogen den Waffenchef der Artillerie, bereits im Februar 1927 einen Antrag zur Beschaffung weiterer drei Apparate mir den geplanten Standorten Bière, Kloten und Frauenfeld zu stellen. Für die Beschaffung wurde eine Verbesserung der Baranoff-Apparate als notwendig erachtet, was mit einer Liste von sechs Mängeln und zwölf Verbesserungen untermalt wurde. Bereits am 1. März 1927 erklärte das Militärdepartement sein Einverständnis für die Beschaffung von drei Apparaten im Gesamtbetrag von Fr. 105’000.–. Die Lieferung der Apparate erfolgte gestaffelt vom Herbst 1927 bis ins darauffolgende Jahr.
Das System Baranoff wurde laufend weiterentwickelt. Eine Schweizer Delegation liess sich am 1.11.1932 einen solchen verbesserten Apparat in Paris vorführen. Ein Bericht des Waffenchefs der Artillerie vom 10.12.1932 zeigt auf eindrückliche Weise die Vorteile des weiterentwickelten Gerätes und beantragt eine Beschaffung zu prüfen. Am 17. März 1933 stellte der Waffenchef den Beschaffungsantrag für den „vervollkommten“ Apparat. Am 19. Mai 1933 bewilligte der Bundesrat diese Beschaffung. Diese fünfte Anlage wurde Ende November 1934 im kantonalen Zeughaus Bern aufgestellt.
Sämtliche Baranoff-Apparate wurden 1978 ausser Dienst gestellt und im Laufe des Jahres 1978 und teilweise 1979 abgebaut.
Das Prinzip des Baranoff-Apparates beruht auf zwei parallelen Flächen, von denen eine das Zielgelände in Form eines Reliefs darstellt und die andere einen verstellbaren Mechanismus zur Einstellung der Geschütz-Richtdaten enthält. Bei jeder Verstellung der Geschütz-Richtdaten zeigt der Mechanismus den Auftreffpunkt der Geschosse im Modellgelände. Die Anzeige kann je nach befohlener Munitionsart als Aufschlagmarkierung (Berührung des Reliefs) oder als Zeitzündermarkierung (Stopp der Bewegung über dem Auftreffpunkt) erfolgen.
Bei der Anlage in Thun war die auf dem Relief beschiessbare Fläche stark eingeschränkt. Das Relief zeigte das Gelände Ferenberg / Bantiger im Massstab 1:1000 auf einer Fläche von 1,8 x 1,8 m. Ohne Neueinrichtung des Apparates konnte nur eine Kernzone von rund 500 x 500 m beschossen werden. Die Bedienung bestand hier aus drei bis vier Mann.
Die Anlgen der zweiten Serie in Frauenfeld, Kloten und Bière wurden mit zwei unterschiedlichen Geländereliefs im Massstab 1:1000 in der Grössse 2 x 2 m ausgestattet. Bei den Anlagen Bière und Frauenfeld war dies das Gelände „Rüeggisberg“ und bei der Anlage Kloten das Gelände „Toggenburg / Wildhaus“.
Die Anlage Bern beinhaltete wahrscheinlich das Optimum der in jeder Periode möglichen und bezahlbaren technischen Lösungen. Das Relief mit dem Gelände „Tützenberg“ (Tafers) in der Ausdehnung 3 x 3 m konnte in seiner ganzen Ausdehnung beschossen werden. Die Dimensionen und die Komplexität der Anlage war gegenüber den früheren Gerätemodellen enorm gestiegen und die notwendige Bedienungsmannschaft war inzwischen auf 5 bis 6 Mann angewachsen.
Schiessausbildungsgerät Hänny-Apparat („Trajector“)
Konstrukteur dieses Apparates war der heute noch lebende Artillerie-Oberleutnant Jost Hänny, geboren 1920. Er entwickelte seine Idee eines vereinfachten Baranoff-Apparates während eines Dienstes um die Jahreswende 1942/43. Bereits Ende Januar 1943 stand die hauptsächlich aus Holz hergestellte Musterapparatur für eine Vorführung bereit. Die Vorgesetzten unterstützen die Idee von Oberleutnant Hänny. Aufgrund einer Demonstration von Ende März 1943 konnte er den Waffenchef der Artillerie und Ingenieure der K.T.A. überzeugen, einer praktischen Erprobung seines Apparates in einem Schiesskurs auf dem Monte Ceneri zuzustimmen. Dieser verlief zur vollen Zufriedenheit. Die K.T.A. wurde mit der Entwicklung und Kostenermittlung beauftragt. Es wurde nun ein Musterapparat in Leichtmetallbauweise zum Preis von rund Fr. 2’000.– hergestellt und Ende Februar 1944 abgeliefert. Jost Hänny meldete anfangs 1944 seine Erfindung zum Patent an. Im März 1945 erteilte die K.T.A. den Auftrag zur Herstellung von 33 Hänny-Apparaten. Bis Ende Dezember 1946 waren davon 22 zur Ablieferung gelangt.
Im Verkaufsprospekt vom März 1946 wird der Schiessapparat „Trajektor“ wie folgt beschrieben:
„Der Trajektor ist ein transportabler Zimmer-Schiessapparat ohne Munitionsverbrauch, speziell geeignet zur Ausbildung von Offizieren, Offiziersschülern und von Unteroffizieren aller Artilleriegattungen. Er gestattet die Durchführung sämtlicher indirekter Schiessverfahren auf feste und bewegliche Erdziele, und zwar mit allen Geschützarten, auch mit Minenwerfern und Infanteriegeschützen. Als Grundlage dienen die massstäblich verkleinerten, im Aufriss dargestellten Flugbahnen und Tempierungskurven. Der Apparat gibt daher in verkleinertem Massstab die wirklichen Verhältnisse der Geschossflugbahnen wieder.
Zur Beobachtung kann jedes bei der Truppe vorhandene Instrument mit einer entsprechenden Vorsatzlinse verwendet werden. Die Instrumenten-Standorte sind frei wählbar, wodurch jede erdenkliche Beobachtungskonstellation ermöglicht wird.
Als Schiessgelände dient ein festes Relief aus Aluminiumguss oder ein beliebig formbares Sandrelief. Beide sind kreisförmig ausgebildet, mit einer o/oo-Winkelteilung versehen und drehbar gelagert, sodass aus jeder beliebigen Richtung in das Gelände geschossen werden kann.
Der „Trajektor“ ermöglicht sowohl das Schiessen mit einem Geschütz als auch mit einer ganzen Batterie. Eine Streuscheibe, mittels welcher einer kommandierten Flugbahn entlang gefahren wird, dient zur Berücksichtigung der beim scharfen Schiessen vorhandenen Streuung von Flugbahn und Tempierung.“
Nicht zu Unrecht wurde der Hänny-Apparat als vereinfachter Baranoff-Apparat bezeichnet. Er verwendete – gleich wie das System Baranoff – einen Geräteteil zur Einstellung der Schiesselemente und ein Relief zur Darstellung der Schüsse. Der technische Aufwand zur Erreichung dieser Zielsetzung war jedoch ungleich kleiner, was sich im Preis des Gerätes niederschlug, der weniger als zehn Prozent der Kosten für einen Baranoff-Apparat betrug.
Schiessausbildungsgerät „Pojektar“
Im Gegensatz zu den Geräten System Baranoff und Hänny mit Geländereliefs beruht der Projektar auf einer Projektion eines realen Geländebildes (Zielraumphoto) auf eine halbtransparente Leinwand bzw. Glasscheibe, auf die dann von hinten mit einem „Lichtpunktwerfer“ die Lage der Schüsse angezeigt wurde.
Der Projektar wurde vom 1903 geborenen Oberst Walter Gagg konstruiert. Er war von 1945 bis 1965 bei der K.T.A. in Bern tätig und starb 1982. Die ersten schriftlichen Spuren der Entstehung dieses Gerätes datieren von anfangs 1945. Bereits im November 1945 hatte die K.T.A. 10 Artillerie-Feuerleit-Übungsgeräte vom Typ Projektar zur Beschaffung vorgesehen. Im März 1946 wies die Kalkulation der Waffenfabrik Bern für die bestellten 10 Geräte einen Gesamtaufwand von Fr. 38’535.42 aus. Die beiden ersten Ausrüstungen wurden im April 1946 in Frauenfeld in einem von Oberstleutnant Gagg geleiteten Kurs eingesetzt. Nach erfolgreichen Einsätzen dieser ersten Seriegeräte erfolgte die Ablieferung der bestellten 10 Geräte ab 15. Mai 1946. Damit ausgerüstet wurden die Standorte Thun, Frauenfeld, Kloten, Bière, Bern, Sion, Monte Ceneri, Kastels, Airolo und Savatan.
Bei der Festungsartillerie bestand ein grosses Interesse an diesen Geräten, da sie es erlaubten, die effektiven Zielräume von Festungsverbänden für die Ausbildung zu nutzen. Dies erklärt auch die ersten Einsätze des Prototyp-Gerätes im Raum des Festungskommandos Sargans. Mit der Geräteablieferung erfolgte gleichzeitig die Abgabe eines Dossiers mit 21 Übungsfällen. Wegen der Angaben über effektive Standorte von Geschützen der Festungsartillerie inklusive deren Beobachtungsposten und Zielraumphotos wurden diese Unterlagen als Geheim eingestuft und mussten entsprechend behandelt werden.
Neben den Projektar-Geräten wurde später auch eine einfachere Ausführung in Form des Klein-Projektar-Gerätes in je zwei Exemplaren für die Anlagen Kloten und Airolo beschafft.
Der ursprüngliche Einsatz der Projektar-Geräte wurde mit der Reorganisation der Feuerführung und Feuerleitung im Zuge der Truppenordnung 61 absolet. Die Geräte blieben aber mangels besserer Trainingsmöglichkeiten im Einsatz bis zur Einführung des Simulators 77 für Artillerie-Schiessen.
Simulator 77 für Artillerie-Schiessen
Dieser Simulator wurde von der schwedischen Firma Saab unter der Bezeichnung BT 33 entwickelt und sowohl in der schwedischen wie auch in mehreren anderen Armeen eingeführt. Nach einer Evaluation der auf dem Markt angebotenen Artillerie-Simulationssystemen entschied sich die Schweizer Armee 1977 für eine Beschaffung des Systems im Gesamtbetrag von vier Millionen Franken.
Der „Art Sim 77“ dienst der Ausbildung der Schiesskommandanten. Er erlaubt insbesondere deren grundlegende Ausbildung in der Offiziersschule sowie das nachfolgende Training zur Erhaltung und Festigung der Schiessfertigkeit. Die Ausbildung umfasst alle Belange der Feuerleitung seitens der Schiesskommandanten sowie die Schulung der Beobachtungsorgane im Einsatzraum. Nicht möglich ist beim Art SIm 77 die Schulung der Arbeitsabläufe Schiesskommandant – Feuerleistelle.
Das System bestand aus sechs Projektoren und einer zentralen Computer-Steuereinheit. Mittels einer Zielbildanlage war es möglich, bewegliche Ziele (z.B. fahrende Panzer, fliegende Helikopter) sowie Maschinengewehr- oder Geschützfeuer und Nebelwände darzustellen. Es konnten gleichzeitig bis zu 20 Schüler ausgebildet werden. Der Simulator war mit einem Tongenerator ausgerüstet, der das Geräusch der Granaten vor dem Einschlag und deren Explosion nachbildete. Berücksichtigt wurde dabei auch die Zeitverzögerung des Explosionsknalls zum Beobachter.
Der Versuchsbetrieb der ersten Anlage erfolgte auf dem Waffenplatz Frauenfeld. Die Beschaffung weiterer sechs Geräte erfolgte ab Herbst 1978, womit folgende Standorte ausgerüstet wurden: Bière, (2 Geräte), Frauenfeld (1 Gerät zusätzlich), Monte Ceneri (1), Thun (1). Im Jahre 1979 kamen mit je einem Gerät noch die Standorte Airolo, St. Maurice/Dailly, Mels und Bure dazu.
In den Jahren 1990/91 wurden die Anlagen modernisiert und mit einigen Verbesserungen versehen. Ende des Jahres 2004 waren total noch 10 Geräte verfügbar, da die Anlage in Sion vor einigen Jahren bei einem Brand zerstört wurde. Die heutige Planung sieht vorläufig die Beibehaltung je eines Gerätes auf den Waffenplätzen Frauenfeld und Bière vor, was die Liquidation der restlichen 8 Geräte bedeutet. Der vollständige Ersatz des Art Sim 77 ist erst später mit der Einführung eines neuen Schiesskommandanten-Simulators geplant.
Artillerie-Feuerleit-Anlage „AFA“, Kloten
Die Baranoff- und Hänny-Apparate wurden hauptsächlich zum Training der Schiessregeln und der Kommandotechnik eingesetzt. Die Projektar- und Klein-Projektar-Geräte dienten vornehmlich der Schulung der Beobachtung, der Kommandotechnik und des Übermittlungsprozederes. Für die Ausbildung des Artillerieeinsatzes im höheren Verband wurde Mitte der 50er-Jahre in Kloten eine Artillerie-Feuerleit-Anlage „AFA“ eingerichtet.
In der Übungsanlage Kloten befanden sich bis zum Verschwinden der gesamten Barackenanlage 1978 die folgenden Geräte:
- drei mechanische Relief-Übungsgeräte
- 1 Baranoff-Apparat mit Relief Toggenburg-Wildhaus
- 2 Hänny-Geräte
- drei Projektaranlagen
- 1 Normal-Projektar
- 2 Klein-Projektar-Geräte
Die Baracken der Projektaranlage Kloten mit ihrer gesamten Ausrüstung standen bis gegen Ende der 70er-Jahre für die Baranoffkurse zur Verfügung. Die Nutzung der Hänny- und besonders der Projektar-Geräte endete jedoch bereits in den 60er- und frühen 70er-Jahren.
Feuerleit-Instruktions-Anlage für Festungen in Airolo
Für die Festungsartillerie war in Airolo in Analogie zu Kloten ein Zentrum geschaffen worden, das folgende Ausstattung aufwies:
- ein mechanisches Relief-Übungsgerät mit einem Hänny-Gerät
- drei Projektaranlagen mit einem Normal-Projektar und zwei Klein-Projektar-Geräten
In Airolo standen für die Ausbildung eine Regiments-Feuerleitstelle, eine Abteilung-Feuerleitstelle und drei Batterie-Feuerleitstellen zur Verfügung.
Text: Henri Habegger und Hugo Wermelinger